Seitdem ich Studentin war und begann, mit der Welt der Geigenpädagogik ein bisschen Kontakt aufzunehmen, habe ich oft sehr verschiedene Meinungen über die Suzuki-Methode von Musikern und Lehrern gehört. Bezüglich dieses Themas habe ich sofort gemerkt, dass es zwei gegensätzliche Seiten gibt, die völlig unterschiedliche Ansichten haben.
Damals kannte ich diese Methode kaum, und die positiven sowie negativen Kritiken gegenüber der traditionellen Methode weckten meine Interesse.
Gleich zu Beginn: was ist tatsächlich die traditionelle Methode? Ist nicht diese traditionelle Methode eine Gesamtheit von vielen unterschiedlichen Methoden und Schulen außer der Suzuki-Methode? Warum dann diese Unterscheidung mit der Suzuki-Methode?
Nach meiner Ausbildung als Suzuki-Lehrerin weiß ich endlich, worum es in dieser Methode eigentlich geht, und kann mit Stolz sagen, dass ich nun eine überzeugte Verteidigerin bin! Wie ich danach erklären werde, sind ihre Ziele so rein und menschlich, dass die Kritiken dagegen, nach meiner Meinung, nur durch Informationsmangel und falsche Vorurteile entstehen. Das heißt aber nicht, dass ich die anderen Methoden verwerfe oder unterschätze. Ich habe selber bei traditionellen Lehrern Geige gelernt (mit guten und schlechten Erfahrungen), und dank ihnen kann ich heute als Musikerin leben und die Musik lieben.
Diese Tatsache bringt mich zu meiner ersten Überlegung: Das Wichtigste ist nicht die Methode, sondern der Lehrer. Bei jeder Schule oder Methode gibt es viele gute Lehrer, die solide Technik-Kenntnisse und feine Musikalität ihren Schülern übertragen können; jedoch viele andere, die diese Aufgabe leider nicht erfüllen. Es reicht nämlich nicht nur aus, gut zu spielen; es ist auch notwendig, gut unterrichten zu können. Das schafft man natürlich nur mit Erfahrung und vor allem mit viel pädagogischen Kenntnissen über alle technische Aspekte des Instruments und deren Entwicklung in jedem Alter des Schülers. Bei diesem Punkt haben die ausgebildeten Suzuki-Lehrer wahrscheinlich einen großen Vorteil: alle müssen eine lange Lehrer-Ausbildung machen, in der man sorgfältig jeden Schritt für ein optimales Unterrichten erlernt.
Nach dieser ersten Überlegung könnte vielleicht jemand denken: „Na ja! Wenn das Wichtigste der Lehrer ist, warum soll ich einen Suzuki-Unterricht für mein Kind bevorzugen?“ Gut, das kann man mit der Erklärung zu einer anderen Frage beantworten: „Was ist eigentlich die Suzuki-Methode?“ Und hier kommen wir zur Kernantwort, die wahrscheinlich viele Verleumder nicht kennen: „Die Suzuki-Methode ist eher eine Philosophie, deren Hauptziel darin besteht, durch die Erlernung eines Instruments und umgeben von einer positiven, motivierenden und liebevollen Atmosphäre, eine große Anzahl von Wertvorstellungen und Fähigkeiten beizubringen, um glückliche, fähige und großherzige Kinder zu formen". Das ist der Hauptunterschied zu der so gennanten traditionellen Methode, die sich nur auf eine Instrumentalausbildung konzentriert.
Diese Intellekts- und Persönlichkeitsförderung der Kinder durch die Musik, ist aus meiner Sicht, eine höchst wertvolle Arbeit in unserer heutigen Gesellschaft. Darum fällt es mir schwer zu glauben, dass jemand, der diesen Grundsatz kennt, die Suzuki-Methode ganz und gar ablehnt.
Neben dieser Philosophie hat die Suzuki-Methode eine charakteristische Unterrichtsart, die von der traditionellen Methode in einigen Punkten abweicht. Darum wirbelt sie ab und zu, aufgrund mehrerer falschen Vorstellungen, etwas Staub auf. Anschließend habe ich die häufigsten Vorurteile gegen die Suzuki-Methode gesammelt, und erkläre, warum diese Ideen falsch sind:
1. "Suzuki war kein guter Geiger und deswegen konnte er keine gute Methode kreieren":
Shinichi Suzuki begann im Alter von 17 Jahren das Geigenspielen zu lernen, zuerst als Autodidakt und danach bei namhaften Lehrern wie Prof. Klinger. Stimmt, er wurde niemals ein virtuoser Geiger, weil er zu spät anfing, und vor allem weil das nie sein Hauptziel war. Er wollte durch die Geige die Kunst der Musik besser verstehen lernen, und sie als Mittel zur Erziehung von Kindern einsetzen.
Das Geigenlernen als Erwachsener war für ihn ein harter Weg, in dem er lernen musste, alle möglichen Probleme zu lösen. Dank dieser schweren Erfahrung konnte er eine solide und sehr gut sequenzierte Methode kreieren (wie oft haben wir große Solisten gesehen, die ihren Schülern oder Studenten nicht helfen konnten, da sie als Kind einfach keine Probleme hatten!). Außerdem ist die Suzuki-Methode heutzutage ständig unter Fachaufsicht und Korrektur, um sie zu den neuen interpretativen Stilen zu adaptieren.
2. "Die Suzuki-Schüler können nicht Noten lesen, oder können sehr schlecht vom Blatt spielen":
Die Suzuki-Methode wird auch Muttersprachen-Methode genannt, weil sie darauf basiert, wie Kinder problemlos ihre Muttersprache erlernen. Wie bei der Sprache, lernt man das Instrument zuerst durch Nachahmung, erst später kommt das Notenlesen (zuerst sprechen, danach lesen und schreiben). Wenn die Kinder die Stücke auswendig spielen, können sie sich besser auf ihre Haltungen, Tonqualität und andere technische Aspekte konzentrieren, und dadurch alles besser, ohne die Ablenkung des Notenlesens, kontrollieren (ganz zu schweigen von der riesigen Entwicklung des Gehörs!).
Wenn die Schüler eine gewisse Fähigkeit erreichen, können sie mit dem Notenlesen anfangen. Wie ich davor schon sagte, hängt der Stellenwert der Notenlehre von der Qualität des Lehrers ab (wie bei jeder Schule!). Viele Suzuki-Lehrer verwenden dafür sehr viel Zeit mit den Schülern, mit extra Repertoire und durch das Orchester- oder Ensemblespielen.
Ein anderer Faktor ist, dass die Methode im Prinzip für Vorschulkinder, die nicht lesen können, gedacht war. Es hat keinen Sinn, dass ein Kind, das nicht lesen kann, mit dem Notenlesen beginnt. Allerdings, wenn ein älteres Kind mit der Suzuki-Methode anfängt, kann man fast parallel das Notenlesen unterrichten.
3. "Nur die Kleinkinder dürfen mit der Suzuki-Methode anfangen":
Das ist eine falsche Behauptung, die ich oft gehört habe. Wie gesagt, war diese Methode besonders für Kleinkinder gedacht. Je früher man mit der Talenterziehung beginnt, desto bessere Ergebnisse kann man erreichen. Das heißt aber nicht, dass nur Kleinkinder alleine mit der Suzuki-Methode lernen dürfen. Alle Kinder, Jugendliche und sogar Erwachsene können von dieser Methode profitieren.
4. "Ein 3-jähriges Kind kann keinen Instrumentalunterricht bekommen; das ist etwas unnatürliches":
Manche denken, dass z.B. ein Geigenunterricht für ein so kleines Kind nicht geeignet wäre. Entweder, weil seine Psychomotorik für sowas noch nicht genug entwickelt ist, oder, weil das eine zu harte und anspruchsvolle Aufgabe ist.
Die Suzuki-Methode respektiert das individuelle Lerntempo aller Schüler, die meistens ab dem 3. Lebensjahr für eine richtige Instrumentenhaltung und –ausführung vorbereitet sind. Man sucht eine allmähliche und natürliche Lernmethode, in der den Kindern in diesem Alter die Schwierigkeiten noch nicht bewusst sind. Das Hauptziel dabei ist, ihnen Freude und Spaß zu geben.
5. "Die Suzuki-Schüler (auch die Kleinkinder!) müssen zuviel üben, und das ist wie eine Strafe, die demotiviert":
Eine sehr wichtige Voraussetzung bei der Suzuki-Methode ist das tägliche Üben. Dadurch will man dem Kind Fleiß, Disziplin und Beharrlichkeit beibringen; Eigenschaften, die sehr wertvoll für das Schul- und Arbeitsleben sind. Außerdem kann man sich nur mit einem konsequenten Üben verbessern, was deutliche Fortschritte schafft und die Motivation dadurch steigert.
Regelmäßiges Üben ist wichtiger als die Übungslänge. Am Anfang sind 5 Minuten pro Tag genug, vor allem bei Kleinkindern. Allmählich verlängert man die Übungszeit, aber immer in Übereinstimmung mit dem Alter des Schülers.
6. "Da die Suzuki-Schüler durch Nachahmung lernen, haben sie einen großen Kreativitätsmangel":
Das ist ein ziemlich armes Argument. Das Erlernen aller Fächer braucht zuerst eine Nachahmungsphase. Alle großen Genies der Musik oder Malerei haben zuerst ihre Lehrer oder Idole nachgeeifert. Nach dieser Nachahmungsphase kümmern sich die Suzuki-Lehrer darum, die Kreativität und Persönlichkeit jedes Schülers zu fördern.
7. "Man kreiert Roboter-Schüler, die nichts ohne die Hilfe ihrer Eltern machen können":
Die Assoziation „Roboter/Suzuki-Schüler“ habe ich leider auch schon gehört. Manche Leute haben in YouTube Videos hunderte von asiatischen Suzuki-Kindern gesehen, die völlig identisch Geige vorspielen („wie Maschinen“). Gut, das nennt man nicht Roboter, sondern Disziplin und Fähigkeit des Zusammenspielens.
Außerdem ist die Mitarbeit der Eltern sehr wichtig in dieser Methode. Am Anfang müssen sie dem Kind beim häuslichen Üben helfen. Aber allmählich, wenn das Kind älter wird, traniert man die Unabhängigkeit zu den Eltern, um eine Selbstverantwortung zu erreichen.
8. "So vieles Wiederholen der Stücke langweilt und demotiviert die Kinder":
Die Wiederholung ist ein anderes wesentliches Element in dieser Methode. Suzuki wusste, dass jede Fähigkeit nur durch viele Wiederholungen geschafft werden kann. Wenn ein Schüler ein Stück „gelernt“ hat, verlässt er es nicht. Es wird mit anderen Vorsätzen verwendet, um das Gelernte zu verstärkern und zu verfeinern.
Das ist besonders praktisch in den Gruppenstunden. Hier genießen die Kinder, die Stücke, die sie schon können, beim Zusammenspiel. Die Gefühle von Kontrolle und Bewältigung mit einem „alten“ Stück sind unentberlich, um die Motivation zu halten.
9. "Die Suzuki-Schüler spielen nur in der Gruppe vor, niemals als Solo":
Die YouTube-Videos, die ich in Punkt 7 angebracht habe, lassen viele Leute glauben, dass die Suzuki-Methode nur ein Gruppenunterricht ist. Das Zusammenspiel ist ein essenzielles Element für die Methode, und die Gruppenstunden sind total wichtig, da die Kinder Geselligkeit und Spiel miteinander brauchen.
Aber natürlich gibt es auch wöchentliche Einzelstunden. Darum spielt man in den Schülerkonzerten Gruppenstücke sowie Solo-Stücke.
10. "Die Schüler haben eine arme Technick, weil sie nur die Stücke der Suzuki-Hefte lernen und keine Tonleitern oder Etüden üben":
Das ist eine ziemlich falsch verbreitete Vorstellung. Die Suzuki-Hefte sind Stückesammlungen (mit manchen Tonleitern und Übungen!), deren Ziel ist, die reine Übung ohne Musikalität zu minimieren. Vor allem, da die kleinen Schüler immer Musik interpretieren, erreichen sie die technischen Fähigkeiten ohne es zu bemerken.
Aber die Tonleitern und Etüden von bekannten Schulen sind natürlich auch nötig, wenn der Schüler ein gewisses Niveau hat. Ein guter Suzuki-Lehrer wird dieses Material, sowie andere wichtige Stücke vom Geigenrepertoire, als Ergänzung benutzen.
11. "Die Suzuki-Kinder spielen viele Noten, aber ohne Tonqualität":
Im Gegenteil! Seit der esten Stunde ist das wichtigste Unterrichtsziel die Tonqualität durch eine richtige Haltung. Das gefällt mir persönlich sehr gut im Vergleich zu anderen Streicherschulen, in denen man bevorzugt, viele Noten zu lernen und die Tonqualität später zu entwickeln.
12. "Die Anwesenheit der Eltern im Unterricht ist nicht gut für das Kind":
Wie schon erklärt, helfen die Eltern dem Kind beim Üben, und darum sollen sie im Unterricht dabei sein. Das erleichtert nicht nur die Ausbildung des Kindes, sondern schafft auch stärkere Familienbindung.
Die Mitarbeit der Eltern funktioniert meistens sehr gut. Manchmal jedoch machen sich bei einigen Kindern Konzentrationsprobleme bemerkbar, wenn die Eltern im Unterricht sind. In diesem Fall können die Eltern draußen warten, und am Ende des Unterrichtes bekommen sie dann die Erklärungen des Lehrers.
Wenn die Schüler groß genung sind, um allein zu üben, müssen die Eltern natürlich nicht mehr im Unterricht bleiben.
13. "Die Suzuki-Methode ist nur für ehrgeizige Eltern, die wollen, dass ihr Kind ein Star wird":
Diese Meinung verliert die ganze Glaubwürdigkeit, wenn man die echte Suzuki-Philosophie kennt. Da die Methode sehr effektiv ist, erreichen viele Suzuki-Schüler ein ausgezeichnetes Niveau, und manche werden sogar berühmte Solisten (wie z.B. Hilary Hahn oder Ray Chen). Aber das ist nicht das Hauptziel.
14. "Die Suzuki-Methode ist nur für talentierte Kinder":
Die selbe Erklärung wie im vorigem Punkt. Einer der Grundsätze von Suzuki war: „Talent ist kein Zufall der Geburt. Alle Kinder können lernen“.
Mit diesem Artikel hoffe ich, die Zweifel derjenigen, die die Suzuki-Methode nicht kennen, beseitigt zu haben.
Und zum Schluss würde ich gerne alle Musiklehrer (egal mit welcher Methode!) dazu ermutigen, die Macht der Musik zu nutzen, um nicht nur den Schülern ein Instrument beizubringen, sondern auch bessere Menschen aus ihnen zu machen :)
Rocío Rossi Gallego
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Prof. Dr. Josef Kwiatkowski (sábado, 10 junio 2023 23:18)
Ich würde mich freuen, wenn die von Herrn Suzuki entwickelte Methode WELTweit Einzug in den musikalischen Unterricht finden könnte! - denn Musik heißt Erleben, Fühlen, Entdecken, ...... und vieles mehr! Dieses wesentlichste Element der Musik wird bei der "üblichen" Musik-Ausbildung total vernachlässigt, wenn nicht sogar ganz unterbunden! Erstaunlich dabei ist, daß die Großen Musiker nur deshalb Große Musiker geworden, sind, weil sie sich während der Ausbildung - ich würde lieber DRESSUR sagen - wenigstens einen kleinen des wahren Ursprungs der Musik erhalten konnten!